Prof. Dr. Heiko Beier
Der 44-jährige promovierte Teilchenphysiker ist Mitbegründer undgeschäftsführender Gesellschafter der moresophy GmbH. Der inHamburg aufgewachsene Unternehmer hat an der UniversitätHamburg Physik studiert, aber einen Großteil seiner Doktoranden-zeit in den USA verbracht. Später hat sich sein beruflicher Schwer-punkt in Richtung IT verlagert; er ging als Softwareentwickler undProjektleiter nach München. Seit 2010 ist er Professor an der Hoch-schule für angewandte Sprachen in München; hier hat er einenMaster-Studiengang mit Schwerpunkt Semantic Web entwickelt.
moresophy GmbHDie moresophy GmbH mit Sitz in Martinsried bei München wurde 2001 von Beier mitge-gründet. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit zehn Mitarbeiter und befasst sich mit demThema Semantik. Anfangs widmete man sich noch stark dem Thema Knowledge Manage-ment innerhalb von Unternehmen. Aktuell werden verstärkt Verlage im Bereich digitaleInhalte beraten oder Versicherungen hinsichtlich möglicher Verbesserungspotenziale durchden Einsatz semantischer Technologien in ihren Geschäftsabläufen unterstützt. Außerdemarbeitet das Unternehmen mit mehreren Freiberuflern und anderen Unternehmen in einemKompetenznetzwerk zusammen.
Wie kamen Sie zur Firma moresophy GmbH?Ich habe zusammen mit einem Partner das Unternehmen gegründet, nachdem ich den Wunsch verspürte, unternehmerisch tätig zu sein.
Wie kam es, dass Sie sich mit auf semantische Technologien, spezialisiert haben?Ich interessierte mich schon immer für die Philosophie. Da die Semantik für mich ein stückweit eine Schnittstelle zwischen IT und Philosophie darstellt, hatte ich starkes Interesse für diesen Bereich.
Wie kamen Sie mit Semantic Web in Verbindung, was war Ihr erster Eindruck?
Als ich zusammen mit meinem Partner mögliche Geschäftsideen für die Selbstständigkeit recherchiert habe, bin ich auf einen Artikel über den Fischer-Verlag gestoßen. Dieser hat eine Biografie von Thomas Mann semantisch aufbereitet. Dies hat mich fasziniert und ich habe mich anschließend eingehender mit dem Thema befasst.
Wie würden Sie die bisherige Entwicklung des Semantic Web beschreiben?Wie bei vielen Technologien ist die Entwicklung erst einmal sehr unspezifisch, wasMärkte betrifft. Auch die Akzeptanz von neuen Technologien hängt von deren Umsetzung
und Anwendungen ab. Dies war auch lange Zeit ein Problem des Semantic Web, das in
technischen Kreisen immer wieder gehyped wurde. Es standen aber noch keine entsprechenden
Anwendungen bereit. Heute wird die Technologie eher „unter der Haube“ umgesetzt, ohne dassAnwender damit zwingend konfrontiert werden. Eine Technologie ist aber erst umgesetzt,
wenn jeder sie nutzt; so weit sind wir heute noch nicht.
Welche Branchen profitieren bereits jetzt von der Technologie?In zwei Branchen ist die Umsetzung bereits jetzt besonders weit: Zum einen in derVerlagswelt und zum anderen in den Life Sciences, also Biowissenschaften.
Dies hat zweierlei Gründe: In der Verlagsindustrie ist dies darin begründet, dass ihre Wertschöpfung
auf Informationen beruht. Im Bereich der Life Sciences hilft das Semantic Web, da sehr informations- und recherchelastig gearbeitet werden muss. Auch eines der bekanntesten Ontologiewerkzeuge,Protégé, ist an der medizinischen Fakultät der Universität Stanford entstanden.Daher gibt es auch sehr viele definierte Ontologien.
Ist Semantic Web theoretisch in jeder Branche einsetzbar oder gibt es Ihrer Meinung nach Branchen, die dafür prädestiniert sind?Grundsätzlich macht es für alle Branchen Sinn, die besonders wissensintensiv sind.Man kann aber auch sagen: Jeder, der Produkte erstellt, vermarktet oder verkauft,kann davon extrem profitieren. Je wissensintensiver diese Güter sind, desto mehrMöglichkeiten hat man mit Semantik.
Wo sehen Sie weitere Entwicklungschancen?Mich enttäuscht, dass die Technologie, die hinter dem Semantic Web steht, oft nur
in Verbindung mit Suchen gebracht wird. Ich könnte mir z. B. eine weitere Entwick-lung im Bereich der Management- und Führungsprozesse vorstellen. Dort sehe ichgroße Potenziale. Man könnte z. B. mittels semantischer Modelle Unternehmensstrukturen abbilden.
Welche Risiken bringen semantische Technologien mit sich?Ich sehe keine spezifischen Risiken, sondern nur die allgemeinen projektspezifischen Ri-siken. Häufig spricht man aber davon, dass die Wartung nicht machbar ist; das sehenwir allerdings nicht so. Wir haben höchstens mit dem Problem zu tun, zu hoheTransparenz zu schaffen.
Große Elektronikhersteller haben mittlerweile einige Lösungen im SemanticWeb-Umfeld vorgestellt (Apples „Siri“ oder Googles Suchmaschinenalgorithmus), wie wird Ihrer Meinung nach die Entwicklung bei den großen Konzernen weitergehen?Diese Anbieter sind ja eher Anbieter von Plattformen als von Produkten. Und hinterdiesem Plattformgedanken steckt schon ganz viel Semantik. Denn das Ziel ist, vielüber einen Konsumenten zu erfahren und ihm dann Produkte anzubieten, die aufseine Bedürfnisse zugeschnitten sind. Hier ist der Markt meiner Meinung nach nochlängst nicht am Ende.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung bei der Standardisierung des Web 3.0?Die Menschen müssen ihre Inhalte wirklich mit ausdrucksstarken Metadaten auszeich-nen. Das wird nur funktionieren, wenn mehr Automatismen bereitgestellt werden.
Ist Semantic Web eine Brückentechnologie zu einem größeren Ziel? Wenn ja, wie lautet dieses Ziel bzw. Vision?
Die meisten Leute würden Ihnen sagen, das Ziel ist eine künstliche Intelligenz. Ich warallerdings nie ein Freund hiervon, da die künstliche Intelligenz nie eine angestrebteVision war. Ich würde eher sagen, das Ziel ist, eine lernende Organisation zu kreieren.
Wie groß ist der Aufwand für Unternehmen bzw. Semantic Web Interessierte, statische, nicht nutzbare Daten mit Hilfe von Ontologien für die Semantik nutzbar zu machen?
Man muss eine Anbindung an die unternehmensinternen Informationsquellenund gegebenenfalls auch externe Quellen schaffen.Anschließend muss man eine semantische Basisarchitektur schaffen, in derman grundlegende Sichten auf die Informationen modelliert. Der reintechnische Aufwand ist auf wenige Tage begrenzt; durch organisatorische Arbeitendauert ein solches Projekt allerdings häufig länger.
Welche Vorarbeiten müssen geleistet werden, um die Semantik nutzen zu können?
Daten müssen zugänglich gemacht und klassifiziert werden. Hierfür müssen entsprechende Schnittstellen geschaffen werden. Das ist eigentlich das Einzige, was vorab da sein muss.
Es existieren bereits erste semantische Suchmaschinen.
Welche weiteren Anwendungsbereiche gibt es bzw. können Sie sich für die Zukunft vorstellen?Neben den bereits genannten Beispielen könnte ich mir auch eine Anwendung inMerge & Acquisition-Prozessen vorstellen, um zu verstehen, was wie zusammen-passt. Auch im Bildungsbereich kann eine stärkere semantische Unterstützung erfolgen.
Idee des Semantic Web ist, in Zukunft einmal alle Informationen im Internetmiteinander zu verknüpfen. Kritiker behaupten, dass das niemals möglichsein wird. Wie sehen Sie die Möglichkeiten eines komplett verknüpften Internets in den nächsten Jahren? Technisch würde ich sagen: Warum denn eigentlich nicht? Ich sehe nur keinen Mehrwert darin. Denn wenn ich wirklich alles verknüpfe, verlagere ich das Ursprungsproblem der Filterung von Informationen. Letztendlich werde ich nur auf einer anderen Ebene von den Informationen erschlagen.
Der dauerhaft zu erbringende Aufwand für ein Unternehmen, seine Daten semantisch zu
verknüpfen, ist hoch.
Leben die Unternehmen, in denen Sie bereits semantische Systeme eingesetzt haben,
diese Technologie auch nach der Einführung noch?Der Aufwand wird hier häufig überschätzt. Ähnlich wie bei Web 2.0 Anwendungen wiez. B. einem Wiki gibt es viele Anwender, die dieses nur nutzen. Einige wenige machenetwas mehr, wie z. B. Bewerten oder gelegentliches Einstellen von Artikeln. Und esist nur ein ganz kleiner Personenkreis von etwa 1 – 2 Prozent, der das Thema aktivtreibt.