Prof. Dr. Jan DistelmeyerSeit 2005 Professor für Europäische Medienwissenschaft an derUniversität und der Fachhochschule Potsdam. Er studierte Germa-nistik und Philosophie im Bochum und Hamburg und promovierte2002 in Hamburg zum Thema Autorenfilm. 2007/08 lehrte er an derHochschule für Bildende Künste. Zudem ist er bekannt durch seineFilmkritiken, die er u.a. für die taz, Der Spiegel und Die Zeit geschrie-ben hat. Sein Forschungsfeld sind technische Medien sowie Film unddigitale Medien.
Lehrstuhl und Studiengang für Europäische MedienwissenschaftLehrstuhl für Europäische Medienwissenschaft an der Universität und der FH Potsdam.Der vom Lehrstuhl für Europäische Medienwissenschaft aufgebaute Studiengang Euro-päische Medienwissenschaft ist ein Kooperationsprojekt der Universität Potsdam (Institutfür Künste und Medien) und der Fachhochschule Potsdam (Fachbereich Design).
In welcher Reifegradphase befindet sich die 3D-Technologie?3D und Film haben eine sehr lange gemeinsame Geschichte. Die ersten beweg-ten Bilder in 3D wurden schon am 10. Juni 1915 im Astor Theater in New Yorkvorgeführt. In den letzten fast 100 Jahren spielte die Technologie immer wiedereine Rolle. Die erste internationale Hochphase erlebte sie in den 1950ern, dankder 3D-Filme mit den bewährten zweifarbigen Brillen von den USA über Euro-pa bis nach Japan exportiert wurden. Danach verebbte die Faszination, die inden 1980ern nochmals kurz aufblühte. Seit 2008/09 läuft nun der neue, digitale3D-Boom, und ich denke, dass diese Entwicklung und ihre Ästhetik viel mit denneueren Technologien des Home Entertainment, vor allem Games, zu tun hat. Esgab also mehrere Wellen der Entwicklung und ein Endpunkt ist noch lange nicht ab-sehbar. Gerade die Autostereoskopische Technik, die hinter den Brillentechnikenaktuell noch zurückliegt, wird zu beobachten sein.Ist die Polarisation/Shutter Technik schon ausgebildet? Wird Autostereokopie die Brillen im Kino und Home Entertainment ablösen?Das ist schwer zu beantworten. Aktuell ist die Entwicklung im AutostereoskopischenBereich nicht sehr weit vorangetrieben. Welches der Verfahren sich im Endeffektim Kino durchsetzt, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass bei der Entwicklung der Marktrund um den heimischen Computer und Fernseher von entscheidender Bedeutungist. Die Unternehmen wären schlecht beraten, wenn sie ihr Geld nur in den Fort-schritt der Kinotechnik investierten.Wo sehen Sie 3D-Technik in 10 Jahren?Das ist auch schwierig zu beantworten. Ein Beispiel: Trotz der offensichtlichenVorteile in Sachen Bild, Ton und Interaktivität hat die Blu-ray die DVD nochnicht vom Markt verdrängt. Gründe dafür könnten der (noch) höhere Preis undnatürlich die kulturelle Akzeptanz sein. Die Blu-ray aber ist wegen der Speicher-kapazität mitentscheidend für die Durchsetzung der 3D-Technologie im HomeEntertainment. Eine andere Frage ist das 3D-Verfahren selbst. Dort steht die Brillegegen den Autostereoskopischen Ansatz. Langfristig wird sich die Autostereoskopi-sche Technik wahrscheinlich durchsetzen. Das wird aber vermutlich noch nicht inden nächsten 10 Jahren geschehen. Was das Kino angeht, bin ich mir si-cher, dass es auch in 10 Jahren noch Filme in 3D gibt. Doch auch da wird sich nocheiniges tun. Die Filmindustrie, vor allem Hollywood, ist sehr an einer flächende-ckenden Digitalisierung der Kinos interessiert, dank der Filme direkt vom Konzernzu den Kinos übermittelt werden können. Der Weg über Verleiher und vor allemder Transport schwerer Celluloid-Pakete könnte komplett umgangen werden. Sosteht auch die Frage im Raum, welche Rolle die Kinos dann kulturell einnehmen.Sozialer Treffpunkt, eigenständige Unternehmen mit kuratorischen Ideen oderreine Vorführstellen unter Kontrolle der vertreibenden Produktion?Wie wird in Zukunft mit Gesundheitsthemen wie Übelkeit und Kopfschmerzen umgegangen?Das ist sicherlich kein neues Thema. Schon seit den ersten 3D-Filmen kämpfen dieProduzenten mit der „3D-Sickness“. Anfang 2011 gab es dazu einen Briefwechselzwischen dem Fimkritiker Roger Ebert und dem Cutter und Sound-Designer WalterMurch. Sinngemäß schrieben sie, dass 3D einfach nicht richtig mit unserem Gehirnzusammenginge und der Fall damit nach ihrer Meinung abgeschlossen wäre – bas-ta, Feierabend. Natürlich ist der Industrie das Thema wohl bekannt, ich persönlichaber weiß zu wenig über mögliche Beeinträchtigungen oder Lösungsansätze. Nur:Das Thema existiert eben schon sehr lange. In den 1970ern Jahren z. B. versuchtedas Sensurround-Verfahren mit speziellen Lautsprechern und Bassfrequenzendem Kinopublikum auf andere Weise in Filme eintauchen zu lassen. Auch damalsbeklagten sich die Kinogänger angeblich über Übelkeit, Erbrechen und Kopf-schmerzen. Bekannt ist auch die Geschichte einer Frau, die eine Fehlgeburtauf eine 3D-Vorführung zurückführte. Da stellt sich die Frage: Wahrheit oder docheher PR? Immerhin unterstützen auch solche negative Schlagzeilen immer denSensationswert der neuen Technik.Welche anderen Anwendungsbereiche sehen Sie für die 3D-Technik (neben dem Life-Style)?Dazu möchte ich vor allem sagen, dass die Entwicklung und der Fortschritt deraktuellen 3D-Technik nur im Zusammenhang mit anderen Bereichen verstandenwerden kann. Das militärische Interesse an 3D zur Visualisierung geographischerDaten und der Modellierung militärisch interessanter Gebiete spielt eine wichti-
ge Rolle. Ohne die Investitionen in Militärtechniken und auch das Interesse derMedizin und der Architektur an digitalem 3D ist der Stand der Entwicklung der ak-tuellen 3D-Kino-Technologie nicht wirklich zu verstehen. Von dem Ideal „3D“ inder Geschichte der Computerspiele, auf die ich schon hingewiesen habe, ganz zuschweigen. Aber es gibt ja sowieso spätestens seit den frühen 1990ern eine sehrenge Verbindung zwischen Hollywood und der Game-Industrie. Dass digitales3D eine Zukunft hat und wie diese aussehen wird, hängt auf jeden Fall nicht nurmit dem Kino, sondern in hohem Maße mit anderen Bereichen zusammen, dieauf ihre Weise schon immer Einfluss auf die Geschichte des Films gehabt haben.Vom Militär bis zu den verschiedenen Formen der Heim-unterhaltung, die seit lan-gem neben dem Film in internationalen Medienkonzernen horizontal integriert sind.