Dr. Nina Gaißert
30 Jahre alt, hat technische Biologie studiert, am Max Planck Institut
für Biologische Kybernetik promoviert und arbeitet seit kurzem bei Fes-to im Bionic Learning Network im Bereich Corporate Bionic Research.Sie begleitet die Bionik-Projekte wissenschaftlich und recherchiert diezugrundeliegenden biologischen Phänomene und Zusammenhänge.
Festo AG & Co. KG
Festo ist ein weltweit führender Anbieter von Automatisierungstechnik für die Fabrik- undProzessautomation. Das global ausgerichtete, unabhängige Familienunternehmen mit Haupt-sitz in Esslingen a. N. hat sich in über 50 Jahren durch Innovationen und Problemlösungs-kompetenz rund um die Pneumatik sowie mit einem Angebot an industriellen Aus- undWeiterbildungsprogrammen zum Leistungsführer seiner Branche entwickelt. Heute bietet dasUnternehmen pneumatische und elektrische Antriebstechnik für die Fabrik- und Prozessauto-matisierung für über 300.000 Kunden in 200 Branchen weltweit. Im Bionic Learning Networkinnerhalb von Festo setzt sich das Unternehmen zum Ziel durch die Anwendung der Bionik,dem Übertrag biologischer Prinzipien auf die Technik, neuartige Technologieträger und Serien-produkte hervorzubringen. Automatisierte Bewegungsabläufe sollen mit Erkenntnissen ausder Bionik noch energieeffizienter und produktiver gestaltet werden, was der Industrie völligneuartige Lösungsansätze für die Praxis liefert.
Frau Gaißert, beginnen wir das Interview mit einer Kurzbeschreibung Ihres Aufgabengebiets.Seit kurzem bin ich im Bionic Learning Network von Festo tätig. Das Bionic LearningNetwork ist ein Verbund von Festo mit namhaften Hochschulen, Instituten und Ent-wicklungsfirmen. Ein Schwerpunkt liegt im Bereich der biologisch inspirierten Roboter.Hier lassen sich Ingenieure, Designer und Wissenschaftler von der Natur inspirieren,um biologische Prinzipien in neue Impulse für Technik und industrielle Applikationenumzuwandeln. Ziel des Bionic Learning Network ist es, durch Interdisziplinaritätneue Technologien und Erkenntnisse für unser Unternehmen zu erschließen.
Meine Aufgabe dabei ist, die biologischen Zusammenhänge zu recherchieren und zuverstehen. Fundierte Kenntnisse der Biologie sind in meinem Job unerlässlich. Diesebiologischen Zusammenhänge muss ich dann unseren Ingenieuren vermitteln, daunsere Projekte im Team entstehen.
Welche Besonderheiten beinhalten Ihr Beruf und Ihre tägliche Tätigkeiten?Bionik ist ein sehr junges Feld und auch unser Team ist sehr jung. Alle habenviele spannende Ideen und jeder bringt unterschiedliches Wissen mit. Das Teambesteht aus Biologen, Ingenieuren der Mechatronik oder auch Designspezialisten.
Welche Auswirkungen wird Ihre Tätigkeit in Zukunft für die Menschen haben?In der Natur werden die meisten Mechanismen auf Energieeffizienz, Leichtbau,Systemintegration und Flexibilität hin optimiert. Hier kann man viel von der Naturlernen und technische Geräte intelligenter und besser machen. So kann Bionik, so wiesie Festo betreibt, dazu beitragen, Produkte effizienter zu gestalten und ihren Ener-gieverbrauch zu verringern oder sich an die Bedürfnisse des Menschen anzupassen.Pinguine z. B. sind perfekt an die Lebensbedingungen im antarktischen Meer an-gepasst und sind so energieeffizient, dass eine Magenfüllung eines Adelie-Pinguinsausreicht, um 180 km zu schwimmen. Bionik wird weiterhin für Innovationen im Be-reich der Automatisierungstechnik sorgen. Aber auch für humanoide Roboter kannman noch viel vom menschlichen Vorbild lernen, denkt man z. B. daran, wie einfachdas menschliche Gehirn Gesichter und Objekte erkennt. Für Lauf- und Kletterrobotersind z. B. Insekten ein lehrreiches Vorbild, können diese doch sowohl über Sand lau-fen als auch an glatten Fensterscheiben hinaufklettern.
Welche Systeme entwickelt Festo innerhalb des Bionic Learning Networks?Die Ingenieure des Bionic Learning Networks haben sich von Quallen inspirierenlassen und einen Schwarm aus Roboterquallen, den autonomen AquaJellies ge-baut. Sie sind künstliche autonome Quallen mit elektrischem Antrieb und einerintelligenten, adaptiven Mechanik, die ein kollektives Verhalten ermöglicht. Indemdie einzelnen Quallen miteinander kommunizieren, schwimmen sie gleichmäßigverteilt in einer Wassersäule ohne gegeneinander zu stoßen. Sie laden sich aufein-ander abgestimmt an der Ladestation auf. Bei diesem Projekt haben die Ingenieuredes Bionic Learning Networks vor allem etwas über Schwarmverhalten gelernt, aberauch über Energieeffizienz und generative Fertigungsmethoden.Die AquaJellies agieren dank intelligenter Sensorik als selbststeuerndes System. Die mit kommunikativen Fähigkeiten ausgestatteten autonomen Quallendemonstrieren innovative Entwicklungen in Systemfähigkeit, Energieeffizienz,Kommunikation und Leichtbaustrukturen. Mittels einer Smartphone App kann deraktuelle Zustand jeder einzelnen Qualle individuell aufgezeichnet und verfolgtwerden. Dank Echtzeitdiagnose ist unter anderem eine Parameterabfrage zum ak-tuellen Batteriezustand möglich.
Warum liegt der Forschungsfokus auf der Natur?Die Natur bietet einen reichen Schatz an intelligenten Lösungen für technische Pro-bleme. Wie Bienen in einem Bienenstock autonom zusammenarbeiten, so werdenin Zukunft Maschinen autonom zusammen arbeiten. Dazu benötigt es Kommu-nikation, Sensorik und vor allem lernende Systeme. Und dafür ist die Natur ein per-fekter Lehrmeister.
Welche Meilensteine konnte die Forschung in den letzten Jahren in der Bionik erzielen?Die Bionik ist sehr divers, reicht von Materialwissenschaften über Robotik, biszur Architektur. In jedem Bereich wurden schon spannende Entwicklungen gemacht,wie z. B. klebende Materialien ohne Klebstoffe, vom Gecko inspiriert, fliegendeRoboter, die nur wenige Gramm wiegen und von Insekten inspiriert wurden, oderadaptive Oberflächen, die ganze Gebäude überspannen. Auf lange Sicht wird sichvoraussichtlich die Energie- und Ressourceneffizienz positiv auswirken, die in allen
Lebewesen eine Rolle spielt. Für Festo liegt der Fokus vor allem auf der Kooperationzwischen Mensch und Technik.
Wie können wir in Zukunft von autonomen Systemen profitieren?Eine Vision ist, dass Maschinen die autonom in Zusammenarbeit eine Aufgabe er-füllen, die Produktpalette jeder Firma flexibler machen, wodurch es möglich wird,dass jeder Mensch sich seine eigenen Produkte einfach, schnell und individuell zu-sammenstellen lassen kann.
Welche Durchbrüche und Überraschungen werden wir in Zukunft noch erleben?Halbautonome Systeme sollen in Zukunft immer intuitiver und einfacher zu bedienensein. Somit sollte es auch für ältere Menschen einfacher werden, mit diesen Syste-men zusammenzuarbeiten. Das wird vor allem im Alter das Leben erleichtern. Auch indiesem Bereich forscht Festo an der Frage, wie ältere Menschen bei der Arbeit unter-stützt werden können. So wurde mit der ExoHand eine Roboterhand mit einem hap-tischen Force-Feedback-System entwickelt, die sowohl in der Automatisierungstechnikdie Arbeit erleichtern, als auch in der Rehabilitation eingesetzt werden kann, indemdie ExoHand die Bewegungen des Nutzers registrieren und verstärkt transferiert.
Wie wird die Kommunikation und Interaktion mit autonomen Systemen in Zukunft funktionieren?Die Produktion der Zukunft müssen wir als ein sozioökonomisches System verste-hen. Mensch und Technik wandern immer mehr zusammen. Die Technik wird intel-ligenter, adaptiver und ist zunehmend in der Lage, sich auf veränderte Randbedin-gungen und Eingriffe des Menschen jederzeit einzustellen. Wir werden nicht überallvollautomatisierte Prozesse haben. Stattdessen werden sich veränderbare Prozes-se durchsetzen, bei der der Mensch direkt mit der Technik kommuniziert, z. B. überJoysticklösungen, über Sprache bis hin zur Steuerung von Teilabläufen per Gedanken.Das heißt, die Technik muss den Menschen verstehen, der Mensch muss die Technikverstehen und das auf eine intuitive Art und Weise.Festo hat für den Bionischen Handling-Assistenten, einen pneumatischenGreifarm, der einem Elefantenrüssel nachempfunden ist, eine Sprachsteuerung inte-griert. Außerdem wurde auf der Hannover Messe 2012 das CogniGame vorgestellt,ein Spiel, das mittels Gedanken gesteuert wird. Dies zeigt, dass Sprach- und Gedan-kensteuerung zukünftig auch in der Automatisierungstechnik möglich ist und dieInteraktion zwischen Mensch und Maschine dadurch verbessert werden kann.