Dr. Michael Klein
Dr. Michael Klein ist seit 1994 Direktor des Institut für Neue Medien(INM) in Frankfurt am Main. Als Berater konzipiert und realisiert erOnline-Plattformen und „mixed reality“ Applikationen. Als Interpre-ter baut er Brücken zwischen Wirtschaft und Kreativen („bridging“).Als Moderator vermittelt er zwischen Wissenschaft und Gesellschaft(„public science“) und als Inkubator hilft er zukunftsorientierenProjektmaßnahmen und Start-Up Unternehmen in Frankfurt/Rhein-Main.Geboren 1960 studierte Physik an den Universitäten Wuppertal und Tübingen, Doktor rer.nat. in theoretischer Pr Chemie (Theorie komplexer System).
Institut für Neue MedienDas INM – Institut für Neue Medien – wurde 1989 als avantgardistisches Experimentalla-bor für interaktive Neue-Medien-Kunst an der Städelschule gegründet. Seit 1994 operiertes als autonome Plattform im Aufgabengebiet Neue Medien. Es ist als offene „Plug-in”Plattform organisiert, an die Personen, Institutionen und Unternehmen mit ihren indivi-duellen Projekten andocken können. Dazu bietet es Raum, Logistik und Netzwerke fürProjekte und Diskurse.
Das Thema AR wird gerade in den letzten Monaten in den Medien immer präsenter. Haben die deutschen Unternehmen AR entdeckt?
Noch nicht wirklich, aber sie sind vielleicht auf dem Weg dahin. Man mag es im Zeit-alter des Internet erstaunlich finden, doch bei technologiegetriebenen Entwicklun-gen hängen deutsche Unternehmen immer noch Jahre hinter der internationalenAvantgarde hinterher. So entdeckt man in Deutschland erst dieses Jahr die Möglich-keiten der QR-Codes (Quick Response), in gewisser Weise eine Einstiegstechno-logie in die „Augmented Reality“. Einen ähnlichen inflationären Schub darf manfür den Einsatz von AR-Lösungen in Marketing, Werbung und Vertrieb frühestensim nächsten oder übernächsten Jahr auch hier erwarten, also ca. zwei bis drei Jahrenach dem Durchbruch auf amerikanischen und asiatischen Märkten. Dies ist umso er-staunlicher, da in Deutschland die Marktsättigung bei der für AR Anwendungennötigen Hardware schon sehr weit fortgeschritten ist. Desktop PCs oder Lap-tops mit Webcam, Tablet Computer oder Smartphones sind in ausreichender Dichteschon heute, mindestens im relevanten Consumer Bereich vorhanden. Trotzdemist die Bereitschaft oder auch die Affinität zum Einsatz neuer medialer Kommunika-tionskanäle zu gering. Dabei eignet sich AR gerade für Branchen, die sich schwertun, ihre Produkte digital aufzurüsten, wie z. B. Buch- und Magazin-Verlage, dieVerpackungsindustrie oder Anbieter klassischer (Brett-)Spiele, um nur einige bei-spielhaft zu nennen.
Wie ist, Ihrer Meinung nach, der momentane Wissensstand bei den deutschen Unternehmen?Unternehmen, die für ihre Planungs- und Produktionsprozesse auch in der Vergan-genheit z. B. schon mit „virtual reality“ Systemen gearbeitet haben, sind sicherlichauch bei „augmented reality“ Szenarien auf der Höhe der Zeit. Bei einem über-wiegenden Teil der Unternehmen jedoch ist das Wissen um Technologietrends all-gemein erschreckend niedrig. In Verbindung mit einem schwach ausgeprägtenExperimentierwillen bei neuen Technologien wie der AR fehlt es umso mehr anErfahrung beim Einsatz neuer Marketing-, Werbe- oder Vertriebskanäle. Chancenund Risiken für den eigenen Nutzen lassen sich nicht ausschließlich aus Theoriewissenoder dem Kampagnenstudium des Wettbewerbs ableiten. Dies gilt insbesonderefür hochgradig kontext-sensitive und individualisierbare Technologien wie z. B. ARoder mobile AR Anwendungen.Wie ist dies in anderen Ländern? In welchen Anwendungsbereichen wird AR in Zukunft eine Rolle spielen?AR Anwendungen fanden vor allem in technologie-affinen Ländern frühzeitigAufmerksamkeit. Nordamerika, Korea und Japan sind hier genauso zu nennen wieAustralien, Italien oder Frankreich. Eine entsprechende Neugier und Risikobereit-schaft der Marktteilnehmer fördert in diesen Ländern auch den Willen der Unter-nehmen, sich auf neuen und unerprobten Kanälen zu präsentieren. Schaut man indie Statistiken der Anbieter, so werden in diesen Märkten oft täglich neue Kampag-nen oder Angebote gelauncht, in Deutschland dagegen nur ganz sporadisch.Wie immer bei Neuen Medien Technologien finden diese zunächst über neu-artige und somit faszinierende Werbekampagnen im Consumer Bereich in dieMärkte. Die Werbung an sich bleibt auch das dominante Anwendungsumfeld, wo-bei vor allem die Werbung mit und über mobile Geräte sicherlich der interessantes-te Markt werden wird. An zweiter Stelle könnte schon sehr bald die Verkaufsförde-rung „vor Ort“ treten, z. B. über entsprechend für interaktive AR Anwendungenerweiterte Digital Signage Systeme direkt im Shop oder am Regal, aber auch „insitu“, z. B. in der häuslichen Umgebung des Nutzers über mobile Devices oder mo-derne TV-Stationen. Die Auswahl alternativer Designoptionen, die Einpassung einesneuen Produkts in seine spätere Einsatzumgebung, aber auch AR Montage- oderGebrauchsanweisungen sind mögliche Einsatzszenarien.Nicht vergessen darf man Spiele- oder auch Navigationsanwendungen, beidesüber spezifisch für AR optimierte Konsolen oder Devices. Wenn auch für die breiteÖffentlichkeit eher unsichtbar, so bieten sich AR Lösungen auch im „B2B“-Pro-duktvertrieb als optimale Ergänzungen an. Produktpräsentationen können mit Hilfeeines einzigen Tablet-Computers alle Darstellungsmöglichkeiten vom Video überAR Animationen oder sämtliche Produktdokumente umfassen. In der Hand desVertriebs ein mächtiges Instrument.
Was werden die AR Devices der Zukunft sein?Augmented Reality lebt von der Überlagerung der realen Umweltwahrnehmung derNutzer mit jedweder Form digitaler Inhalte. Die Verschränkung der realen und digi-talen Welt erzeugt eine neue, real-virtuelle Identität. Zunächst wird das im Visuellengeschehen. Doch akustische Augmentierungen („Sound Scapes“), selbst olfak-torische und haptische sind in der Zukunft denkbar. Dementsprechend sind im öffent-lichen Raum vor allem „out-of-home“ Display Systeme mit AR Erweiterungen undim privaten Umfeld einschlägig aufgerüstete Multimedia Home-Center denkbareAR Devices. Die wichtigste Klasse werden aber mobile Geräte wie Smartphones oderTablet-Computer sein, denn mobile Werbung und Spiele oder Navigationshilfendirekt „in der Hand“ des Endnutzers sind die attraktivsten AR Anwendungen.Mittelfristig könnten aber auch neuartige Devices, wie die heute so heftigdiskutierten „AR-Glasses“, Brillen mit eingebauter AR Fähigkeit, signifikante Bedeu-tung im Markt gewinnen. Man sollte nicht übersehen, dass die heute schon so weitverbreiteten „Knöpfe im Ohr“ (Kopfhörer) auch akustische Augmentierungen liefern.Ihre Karriere gibt einen kleinen Ausblick auf die Erfolgsaussichten von audio-visu-ellen AR Devices.
Die Gartner Group prognostiziert für AR Anwendungen einen Milliarden-Umsatz. Wie sehen Sie dies?„Anything – anytime – anywhere“ ist vielleicht der große Trend der Technologie An-wendungen. Augmented Reality bietet in diesem Kontext attraktive Ergänzungenfür faszinierende individuelle Erlebnisse. Produkte und Dienstleistungen werden umden digitalen Raum erweitert. Wenn AR Anwendungen der Zukunft es schaffen,nicht nur neue sinnliche Erfahrungen zu vermitteln, sondern dem User echten Nut-zen und Mehrwert zu bieten, dann eröffnet sich in der Tat ein weltweit Milliardenschwerer Markt.