Jürgen SchülerDer Verantwortliche für das Thema Collaboration in der Handwerks-kammer Rheinhessen ist Jürgen Schüler. Er studierte an der Johan-nes Gutenberg Universität Mainz Mathematik und Physik. Nachseiner Tätigkeit als Lehrbeauftragter der Fachhochschule Wiesbadenwar er Projektleiter in mehreren IT-Projekten (HdA, BMFT, GOPA),Dozent, Lehrbeauftragter und Autor zahlreicher Veröffentlichungenim Bereich“IT und KMU“. Seit 1986 bei der HandwerkskammerRheinhessen, ist er Leiter der Fachbereiche Technologietransfer unddes Kompetenzzentrum IT-Sicherheit und Qualifizierte Signatur.
Handwerkskammer RheinhessenDie Handwerkskammer Rheinhessen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und vertrittdie Interessen von 7.500 rheinhessischen Unternehmen mit 32.500 Mitarbeitern und einemUmsatz von 3,288 Mrd. Euro. Sie ist zusammen mit den Handwerkskammern Trier, Koblenzund Kaiserslautern Mitglied der der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern Rhein-land-Pfalz und über eine Kooperation mit der Handwerkskammer des Saarlandes verbunden.Zudem gehört sie zum Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. (ZDH) und dem Dach-verband Deutscher Handwerkskammertag (DHKT). Die Handwerkskammer Rheinhessen be-schäftigt insgesamt rund 100 Mitarbeiter an verschiedenen Standorten in Mainz und Worms.
Was macht aus Ihrer Sicht Collaboration aus?Menschen erreichen zusammen mehr als alleine. Die Zusammenarbeit wird durchdas World Wide Web und andere Technologien erweitert und substantiell verän-dert. Dadurch eröffnen sich Potenziale in Form neuer Anwendungsbereiche – oderHandlungsfelder – die nicht nur von einem Unternehmen sondern auch von einer öf-fentlichen Einrichtung als Chance genutzt oder als Bedrohung wahrgenommen wer-den können. eCollaboration wird künftig unverzichtbarer Bestandteil des strategi-schen, prozessorientierten und technologischen Handlungsrepertoires der Hand-werkskammer sein.
Relevanz des Themas – Dauerthema oder Trend?Es lassen sich zahlreiche Gründe anführen, weshalb das Thema „eCollaboration“ fürUnternehmen relevant ist. Internetgestützte Formen der Zusammenarbeit spielen inder Wissensgesellschaft eine immer wichtigere Rolle. Einerseits entstehen zuneh-mend Unternehmenskooperationen in Form von Unternehmensnetzwerken, in denendas unternehmensübergreifende Zusammenwirken von Transaktionsprozessen imZentrum steht. Andererseits arbeiten und lernen innerhalb und zwischen solchenUnternehmen Mitarbeiter zusammen, die dazu befähigt werden müssen, miteinander produktiv zu kommunizieren und kollaborativ zu handeln. Internetgestützte Prozesse gewinnen damit in der Teamarbeit der kammerübergreifenden Abwicklungvon Transaktionen und Projekten eine zunehmende Bedeutung. Noch wichtigerals diese unternehmensinternen Kollaborationsformen sind unternehmens- bzw.kammerübergreifende Anwendungen.In welchen Bereichen spielen Collaboration und die Web 2.0 Anwendungen eine Rolle?Analysiert man die gegenwärtigen Anforderungen an Arbeits- und Abstimmungs-prozesse in Handwerkskammern, so stellt man fest, dass diese – nicht ausschließlich,aber doch zu einem wesentlichen Teil – kooperative und kollaborative Prozesse undKompetenzen erfordern. In gemeinsamen Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen derLandesregierung sind eine Aushandlung der Sichtweisen und eine Abstimmung derKammern untereinander notwendig. Auch bei gemeinsam durchgeführten Projek-ten werden Leistungen hauptsächlich von Teams erbracht, die sich aus verschiedenenFachspezialisten der einzelnen Kammern zusammensetzen.Die Komplexität und die vorhandene geographische Distanz zwischen denMitgliedern eines Projektteams macht die computervermittelte Zusammenarbeit oftzur einzig möglichen Arbeitsform, die sowohl effektiv als auch effizient ist.Welche Auswirkungen hat Collaboration auf die Mitarbeiter und die IT?Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen und verschiedenen Unternehmen bil-den Projektteams für die Bearbeitung geographisch verteilter Projekte. Damit nimmtdie Bedeutung lateraler Kommunikation, d. h. die horizontale und diagonale Koope-ration innerhalb der Handwerkskammer, zu. Dies erfordert allerdings entsprechen-de Führungsprinzipien und Kommunikationsformen. Als Folge ergeben sich eineAbkehr von hierarchischen und eine Hinwendung zu flachhierarchischen Führungs-und Kommunikationsformen. Mitarbeiter müssen dazu befähigt werden, produkti-ve und kreative Leistungen in vernetzten Arbeitsumgebungen zu erbringen. Für dieAusbildung entsprechender Kompetenzen sind kollaborative Tools und Technologienerforderlich. Die Anforderungen, die künftig an internetgestützte Anwendungen ge-stellt werden, gehen weit über das hinaus, was gegenwärtige Systeme bezüglich Er-gonomie, Flexibilität und Funktionsumfang zu leisten vermögen. Nicht der Anwenderwird sich an die Möglichkeit eines solchen Systems anpassen müssen, sondern kolla-borative Systeme werden daran gemessen werden, inwieweit sie die gestellten Anfor-derungen erfüllen können.„Wissen ist macht“ – was sagen Sie im Kontext von Collaboration und Handwerkskammer dazu?eCollaboration kommt in der HWK in verschiedenen Ausprägungsformen vor: Ei-nerseits in Form von Zusammenarbeit in Projekten, andererseits im Bereich der com-putervermittelten kollaborativen Beratung. Dabei findet die Beratung in einem Dialogmit anderen Beratern statt, der über internetgestützte Möglichkeiten erweitert wird.User Generated Content tritt zwar in den Fokus des Wissensmanagements, stelltesich aber als schwieriges Unterfangen dar. Auf der von uns genutzten Plattform bis-tech.de bestand bspw. ein äußerer Zwang zur Kooperation zwischen allen bundes-weiten Technologieberatern durch den Projektträger. Da die Berater ihr Erfah-rungswissen einbringen sollten, bestand zunächst die Angst, mit Einstellung desWissens, entbehrlich zu sein. Die Kooperation konnte nur durch eine festgelegte Ver-öffentlichungspflicht z. B. von best-practice-Beispielen aufrechterhalten werden.Erst mit der Einsicht und Erfahrung, dass in einer Kooperation bestimmte Aufgabenschneller und besser gelöst werden können, wuchs der Content an.Welche Software nutzen Sie für eCollaboration?Der Erfolg und die Akzeptanz von kollaborativen Tools und Systemen hängen vonmehreren Faktoren ab. Die verschiedenen Tools und Werkzeuge decken meistens nureinen sehr speziellen Aspekt virtueller Kollaborationsbedürfnisse ab. Die HWK setztdaher unterschiedliche Tools ein: Für die Projektabwicklung und denAbstimmungsprozess der Handwerkskammern setzen wir die Plattform Work2ge-ther.com ein. Zur Informationsbeschaffung für den Wissensaustausch und im Bereichinternetgestützte kollaborative Beratung verwenden wir die Plattform Bistech.dedes Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. ESF-Projekte werden über die Platt-form ecg.eu und öffentliche Ausschreibungen über supreport.de abgewickelt. DieProjektabwicklung des Komzets läuft über MS-Projekt-Server i.V.m. SharePoint. Für einöffentliches Wiki zum Thema IT-Sicherheit wird eine Typo3-Extension auf einem eige-nen Webserver verwendet.Welche Auswirkungen hat Collaboration auf die Organisation? Wie z. B. sieht der Personalrat die neuen Funktionen?Die face-to-face-orientierten Organisations- und Führungsformen können nicht einfachin den virtuellen Raum transferiert werden. Grundsätzlich ist dort sehr viel mehr Struk-turierung erforderlich, als dies gemeinhin angenommen wird. Erfolgreich sind daruminternetgestützte Anwendungen, die sich auf wenige Funktionen reduzieren, einenganz klaren und ersichtlichen Nutzen erzeugen und sich durch eine klare Führungauszeichnen. Die in der Handwerkskammer für eCollaboration eingesetzten Plattfor-men bieten dies. Der Personalrat sieht die Verwendung von eCollabroration-Tools positivkritisch. Aus seiner Sicht erleichtern zwar einerseits die Tools den Mitarbeitern dieArbeit, andererseits werden aber auch in den meisten Tools, ohne Zustimmung derBetroffenen, personenbezogene Daten erhoben. Aus Sicht des Personalrates fehlenderzeit vor allem noch Richtlinien zur Nutzung von SocialMedia und eCollaborationPlattformen. Er sieht auch die Möglichkeit des unberechtigten Zugriffs durch nichtautorisierte Personen bis hin zum Cybermobbing.Hat die Handwerkskammer eine Vision bezüglich eCollaboration?Die Handwerkskammer Rheinhessen möchte eCollaboration fördern, da die kollabo-rativen Prozesse an Bedeutung gewinnen und Teamarbeit in der kammerübergrei-fenden Abwicklung von Transaktionen und Projekten notwendig ist. Hierzu wurde mitdem Wechsel der Geschäftsführung eine Arbeitsgruppe zur Unterstützung der Pro-zesse gegründet. Künftig sollen möglichst viele Arbeitsprozesse und Abstimmungs-prozesse internetgestützt ablaufen.Gibt es Lessons Learned?Das systematische Sammeln, Bewerten und Verdichten von Erfahrungen, Entwicklungen, Hinweisen, Fehlern und Risiken ist ebenfalls ein Ziel der HWK. So werden Zu-ständigkeiten und Workflows definiert, die in weiteren Projekten verwendet werden,Unterlagen werden standardisiert. Kritische Anmerkungen auf der Beziehungs-ebene liefern wertvolle Hinweise für Folgeprojekte.