Dr.-Ing. Ulrich Bockholt
Ulrich Bockholt, geb. 1969 und wohnhaft in Mainz, fing im An-schluss an sein Mathematik-Studium an der Universität Mainz inDarmstadt beim Fraunhofer Institut als wissenschaftlicher Mitarbei-ter an. Mittlerweile ist er Leiter der Abteilung „Virtuelle und Erwei-terte Realität“ und arbeitet dort mit einem Team von 20 Leuten undeinem jährlichen Forschungsbudget von 2,2 Millionen Euro.
Fraunhofer InstitutFraunhofer ist die größte Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa. Esgibt mehr als 80 Forschungseinrichtungen in Deutschland, davon 60 Fraunhofer Institute. DasInstitut hat mehr als 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, überwiegend mit natur- oder in-genieurwissenschaftlicher Ausbildung. 1,8 Milliarden Euro Forschungsvolumen jährlich, davon1,5 Mrd. Euro im Leistungsbereich Vertragsforschung. Über 70 Prozent dieses Leistungsbe-reichs werden mit Aufträgen aus der Industrie und mit öffentlich finanzierten Forschungspro-jekten erwirtschaftet. Knapp 30 Prozent wird von Bund und Ländern als Grundfinanzierungbeigesteuert. Die Forschungsfelder richten sich nach den Bedürfnissen der Menschen: Gesund-heit, Sicherheit, Kommunikation, Mobilität, Energie und Umwelt. Deswegen hat die Arbeit derForscher und Entwickler großen Einfluss auf das zukünftige Leben der Menschen.
Wie kamen Sie zum Fraunhofer Institut?Ich habe an der Universität Mainz Mathematik studiert. Im Rahmen einer wis-senschaftlichen Reihe hat der damalige Leiter der Abteilung „Virtuelle Realität“des Fraunhofer Instituts einen Vortrag gehalten. Da ich mich für das Thema inter-essierte, habe ich anschließend ein persönliches Gespräch mit ihm geführt. Dabei hates sich ergeben, dass ich am Institut eine Diplomarbeit schreiben kann. Diese wurdean der Universität von einem Mathematik-Professor betreut.Also habe ich erst die Diplomarbeit geschrieben und danach im Fraunhofer Institutals wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Von der Entwicklung kam ich immer mehr indie Administration, danach dann die Abteilungsleitung.
Wie würden Sie Ihren Aufgabenbereich beschreiben?Ich leite eine Abteilung mit einem Team von 15 – 20 Leuten und einem Jahresbudgetvon ca. 2 Millionen Euro. Dieses Geld muss erwirtschaftet werden. Dabei steht bei derFrauenhofer Gesellschaft die industrielle Auftragsforschung im Vordergrund. Es gibteinige Möglichkeiten um zusätzlich an finanzielle Mittel zu kommen, einmal vomBundesministerium für Bildung und Forschung, von der EU oder vom Wirtschafts-ministerium.
Warum haben Sie sich für den Bereich IT entschieden?Mein erstes Projekt war ein Trainingssimulator für Arthroskopien im medizinischenBereich. Dort wurde analysiert, wie eine Operation durchgeführt wird. In dieser Zeitkonnte ich neue medizinische Instrumente ausprobieren, verschiedene Operations-techniken beobachten und direkt mit den Medizinern zusammenarbeiten. Etwas Re-volutionäres, komplett Neues zu entwickeln hat mich begeistert, weswegen ich diesemBereich treu geblieben bin.Aus welchen Gründen haben Sie sich für das Fraunhofer Institut entschieden?Im Unterschied zu anderen Forschungseinrichtungen betreibt das Fraunhofer Institutanwendungsorientierte Forschung, was bedeutet, dass die Projekte größtenteils durchIndustrieunternehmen finanziert werden müssen. Wenn die entwickelte Techno-logie also in eine falsche Richtung ginge, würden wir keine Kunden finden, die dieForschungs- und Entwicklungsarbeiten finanzieren. Umso wichtiger ist es, dass dasEntwickelte auch später in einem Unternehmen eingesetzt und produktiv genutztwerden kann. Zwar entsteht dadurch ein enormer Druck, jedoch ist die Wertschät-zung für die investierte Zeit und Mühe umso größer.
Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer täglichen Arbeit?Das Schönste an meinem Beruf ist für mich, mit verschiedenen Leuten aus den unter-schiedlichsten Bereichen zusammen arbeiten zu können. Im Bereich der erweitertenRealität war ich anfangs im medizinischen Umfeld tätig und habe dort z. B. die Gy-näkologie, Orthopädie und Unfallchirurgie besucht. Für Präsentationen zum Kul-turerbe war ich an Schauplätzen wie der Akropolis in Griechenland, um interaktiveExponate gemeinsam mit Museen aufzubauen. Auch an Maschinenbau-Projektenin Werkshallen in der Fertigung habe ich schon mitgewirkt.Dadurch habe ich zahlreiche Mentalitäten und Arbeitsweisen kennengelernt.Wie definieren Sie den Begriff „alternative Steuerungsmethoden“?Im Zusammenhang mit virtueller Realität, bei der man die Nutzer in eine virtuelle Welteintauchen lässt, wird zunehmend versucht, alle Sinne des Menschen anzuspre-chen. Das kann sich beispielsweise durch eine Stereoausgabe statt einer Monoaus-gabe äußern oder durch das räumliche Sehen mit beiden Augen. Tippen auf Tas-taturen ist im Grunde eine unnatürliche Aktion. Mit der virtuellen Realität soll derNutzer mehr auf natürlicher Ebene angesprochen werden und damit müssen auchdie Steuerungsmethoden natürlicher und intuitiver gestaltet werden.Welche Erfahrungen haben Sie bereits dazu gesammelt?Wir haben ein Exponat entwickelt, das im Bayer-Kommunikationszentrum ausgestelltwird. Den Besuchern wird hier die Technologie des „Molecular Modelling“ illustriert.Dabei interagieren die Besucher mit der Kinect, um durch Handgesten verschiedeneWirkstoffe an die Moleküle anzudocken.Warum, denken Sie, entsteht ein wachsender Bedarf an alternativen Steuerungsmethoden?Ich denke, dies wurde maßgeblich durch die rapide Entwicklung der Grafikkartenbeeinflusst, denn die Basis für alternative Steuerung ist die digitale Bildverarbei-tung. Nachdem diese ausgereift war, kam die Interaktion, angefangen beim „EyeToy“ für die 2-dimensionale Ebene, gefolgt von Wii und Microsofts Kinect mitTiefenkameras für den 3-dimensionalen Raum. Die Unterhaltungsbranche hat die-sen Markt in den letzten Jahren stark vorangetrieben. Auch im Bereich der mobilen Endgerä-te hat sich viel getan. Erst gab es einfache Touchsysteme, inzwischen Multitouch. Da-mit wurden neue Möglichkeiten der Interaktion geschaffen, die jetzt weiterentwickeltwerden können.Welche Schwächen gibt es bei Systemen, die derzeit im Einsatz sind, wie beispielsweise der Kinect?Im Freien ist die Kinect so gut wie nicht nutzbar, da der eingebaute Infrarotsensorsehr empfindlich gegenüber Sonnenlicht ist. Außerdem können mehrere Kinect-Sys-teme nicht synchronisiert werden. Das heißt mehrere Kinect-Systeme in einem Raum zuplatzieren, um ein 3-dimensionales Abbild zu rendern, funktioniert nicht. Hinzu kommtder beschränkte Arbeitsraum. Das Infrarotsignal ist eher schwach und die Datenbankfür Gestenerfassung zu klein. Diese müsste für einen größeren Raum ausgeweitet wer-den, um mehr zu erfassen. Das liegt zum einen an der Hardware, zum anderen aberauch an der Geschwindigkeit/Latenz. Hierbei muss man stets einen Kompro-miss zwischen Interaktivität und Latenz finden.Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung und Bedeutung alternativer Steuerungsmethoden?Im medizinischen Bereich finden alternative Steuerungsmethoden in sogenannten Tele-robotik-Systemen Anwendung. Dabei sitzen Chirurgen vor einem Bildschirm und lassenihre Gesten auf minimalinversive Instrumente übertragen, die durch die Robotik ge-steuert werden. Auf diese Weise kann z. B. das Zittern der Hand herausgefiltert werden.Mittlerweile sind mehr als 10.000 solcher Systeme im Einsatz.Ein effizienteres Arbeiten mit mobilen Geräten durch Gesten- und Gesichtserken-nung per Kamera in Smartphones ist ebenfalls denkbar. Generell werden nach undnach mehr traditionelle Bedienungen durch natürlichere Interaktionen abgelöst werden,wie beispielsweise eine Authentifizierung durch Gesichtserkennung statt der Pass-worteingabe.